Lektion 6


Dramaturgie

Die mustergültige Führung


Vorbereitungen - was brauchen Sie?

Ihr Konzept, einen Schreibstift, einen roten und einen schwarzen Stift und ein

wenig Kondition für den Gipfelsturm. ;-)



Los geht´s

In den vorigen Lektionen haben Sie viele Bausteine entdeckt oder selbst produziert, bearbeitet und eingepasst, um Ihre Führung noch abwechslungsreicher und spannender zu gestalten. Sie hatten die freie Wahl der Mittel, wobei Humor und der Einsatz von konkreten Bezügen auf das heutige Leben Ihrer Gäste bei keiner Führung fehlen sollten. Jetzt schauen Sie sich die „Konstruktion“ Ihres Bauwerks und die innere Struktur genauer an.

 

Der Rahmen

 

Frank Zappa hat mal behauptet: Das wichtigste in der Kunst ist der Rahmen. Das ist

dann doch übertrieben, in Bezug auf die Kunst und auch sonst. Aber die Wirkung eines passenden Rahmens ist nicht zu unterschätzen. Er gibt Inhalten einen äußeren Halt und wertet sie gleichzeitig auf.

 

Wie schon in der Lektion 3 erwähnt, sind Zitate und Redewendungen sehr gut im Rahmenbau einsetzbar. Aber auch Anekdoten eigenen sich hervorragend.

 

 

 

Praxisbeispiel: Einsatz von Anekdoten im Rahmenbau

 

In Ihrer Begrüßung, wenn Sie den Überblick über Ablauf und Themen der Führung präsentiert haben, könnten Sie noch breit lächelnd ergänzen:

 

„Außerdem erfahren Sie noch einiges über das Ehepaar Apolonia und Hein Knieps, warum es die Stadt in helle Aufregung versetzte, als die stadtbekannte Bürgersfrau 1801 beigesetzt werden sollte. Und was das Ganze mit Napoleon zu tun hatte... “

 

Sie haben damit Spannung aufgebaut, neugierig gemacht.

 

An diese Rahmengeschichte könnten Sie auch im Mittelteil anknüpfen (muss aber nicht sein, dann erzählen Sie die Geschichte nur am Ende weiter), wenn Sie an den Ort angelangt sind, an dem damals das Unheil seinen Lauf nahm. Sie berichten vom Scheintod der guten Frau, dem dramatischen Erwachen beim Sturz des Sarges während des Trauerzuges und den sich überstürzenden Folgen. Und Sie weisen dezent darauf hin, dass die Geschichte noch nicht zu Ende ist, das dicke Ende folgt schließlich noch...

 

Kurz vor der Verabschiedung, fällt Ihnen ein, dass Sie ja noch das Ende der skurrilen Geschehnisse erzählen wollten.

 

„Sie möchten doch bestimmt wissen, wie die Geschichte von Apolonia und Hein Knieps weiter ging?“

 

Natürlich wollen Ihre Gäste das hören und sind jetzt ganz Ohr. Freie Fahrt für die Pointe: Sie tragen vor, wie Hein reagierte, als sein Ehegespons das zweite mal mit dem Sarg durch die Stadt getragen wurde. Als der Trauerzug wieder die Stelle erreichte, wo bei der ersten Beisetzung das Drama seinen Anfang nahm, fuhr dem armen Hein ein riesiger Schreck durch den ganzen Körper. Den Bruchteil einer Sekunde hielt er inne, raste dann nach vorn zu den Sargträgern und rief in seiner Not: „Bitte, Freunde, bitte, passt diesmal gut auf!“

 

Fertig ist ein ansehnlicher Rahmen, in diesem Fall durch eine zentrale Unterstützung im Mittelteil verstärkt.

 

 

Einen prächtigen Rahmen können Sie auch mit einem Sachthema zusammenfügen, das Sie während der Führung immer wieder aufgreifen (da sind wir schon beim roten Faden, um den es im nächsten Abschnitt geht). Im Rahmen selbst sollte dem Thema allerdings etwas Spektakuläres, Witziges oder Überraschendes anhaften.

 

 

Der rote Faden und die innere Struktur

 

Für eine stabile Statik braucht Ihre Führung eine innere Struktur: den roten Faden. Den gibt das Sachthema, das durch den Titel ihrer Führung definiert ist, vor. Nichts Neues für Sie, denn als Grundlage für die Arbeit mit diesem Modul haben Sie ein eigenes Konzept mitgebracht, dessen roten Faden Sie nach Ihren individuellen Vorstellungen bereits ausgestaltet hatten.

 

Ist es die architektonische Entwicklung einer Stadt? Die Veränderungen der Kulturlandschaft, die Geologie, die erdgeschichtlichen Geschehnisse, Baustile im Vergleich? Oder etwas ganz anderes? Das ist der große Reiz für Gästeführer: Sie haben freie Hand bei der Wahl Ihrer Herangehensweise und Schwerpunktsetzung.

 

 

Das Höhenprofil Ihrer Drei-Gipfel-Führung

 

Der letzte Schliff für die Dramaturgie Ihrer Führung bringt das ausgewogene

Höhenprofil: idealerweise gibt es drei Höhepunkte.

 

  • Einen ziemlich am Anfang Ihrer Führung – Wow, das wird richtig spannend!, denken Ihre Gäste –
  • dann einen weiteren in etwa in der Mitte der Führung. Dieser zweite dramaturgische Gipfel verstärkt den Spannungsbogen, der ja bis zum Schluss halten soll –
  • und kurz vor der Verabschiedung: der finale Paukenschlag. Tara! Ihre Gäste sind überwältigt! Während Sie sich verabschieden, denkt sicher manch einer: O, wie schade, schon zu Ende!!

 

Kann Ihnen etwas Besseres passieren?

 

Die Top-Knaller schlummern möglicherweise schon in Ihrer interessanten Konzeptliste.

 

Das könnten Stichpunkte in Ihrer linken Spalte sein, deren Auflockerungen (rechte Spalte) Sie mit verschiedenen Farben markiert haben. Das sind die starken, die kommen auf den Gipfel! Das sind die potentiellen Höhepunkte Ihrer Führung.

 

Fehlt Ihnen noch ein Paukenschlag? Den finden Sie bestimmt im nächsten  Abschnitt.

 

 

Weitere Gipfel entdecken

 

  • Perspektivwechsel und Zeitreise

 

Nehmen Sie eine andere Betrachtungsweise ein, indem Sie die Perspektive verschieben. Beamen Sie sich und Ihre Gäste in eine andere Zeit oder betrachten Sie die Geschehnisse aus Sicht eines konkreten Menschen in früheren Jahrhunderten.

 

 

Praxisbeispiel: Zeitreise mit Perspektivwechsel

 

Sie führen durch eine römische Villa und sind in der Latrine angelangt. Den Entwicklungsschub, den die römische Kultur in eroberte Gebiete brachte, kann man sachlich darlegen, überzeugender und greifbarer wird er durch die Perspektivverschiebung.

 

„Wie staunten die Kelten, als sie, die noch in armseligen Lehmhütten mit Strohdach lebten, das luxuriöse Leben in der römischen Villa kennenlernten. Und wie groß war die Verblüffung, als sie das zivilisierte Geschehen in einer römischen Latrine beobachten...“

 

Hier schließt sich die bildhafte Schilderung der Vorgänge in einer Latrine an, die bei den Römern meist in Gesellschaft Gleichgesinnter stattfanden, samt Reinigung mit dem nassen Xylospongium (einem Holzstab mit Schwamm).

 

Vorab gibt der Vortrag einen Eindruck des Prozederes bei den Kelten wieder, das dazu im krassen Kontrast stand. Deren Latrine war die freie Natur und der Reinigung diente alles, was die Botanik bot.

 

Sie können sich sicher lebhaft die Gesichter Ihrer Gäste vorstellen, die diesen Beschreibungen gefolgt sind!

 

 

  • Überraschungseffekt

 

Geschieht etwas völlig Unerwartetes, provozieren Sie eine hohe Aufmerksamkeit bei Ihren Gästen. Das gehört zu den stärksten aktivierenden Mitteln in einer Führung.

 

 

Praxisbeispiel: Überraschungseffekt mit Zeitreise

 

„Wenn Sie vor 400 Millionen Jahre hier gestanden hätten, was hätten Sie da wohl gesagt? Einfach nur „Blubb blubb“! Denn über Ihren Köpfen hätten sich die Brecher eines riesigen Ozeans getürmt. Und Sie wären dort gewesen, wo heute Südafrika liegt. Unsere riesige Erdscholle war damals von einem Ozean bedeckt und sie lag tatsächlich auf der südlichen Halbkugel.“

 

Mit diesem überraschenden Ausflug in die Geologie Ihrer Region wird Ihnen die Aufmerksamkeit Ihrer Gäste sicher sein.

 

 

  • Spiel, Spaß, Spannung

 

Ein kleines Quiz, eine Schätzfrage, ein Geschicklichkeitsspiel können ein Thema zum Höhepunkt ausbauen. Vielleicht mit einem „Hauptpreis“ für den Gewinner, der neugierig macht: ein Stück Erdgeschichte, das mehr als 300 Millionen Jahre alt ist. Das könnte ein Stück Basalt, Bims, Schiefer, Sandstein Braunkohle o.a. sein – was Ihre Region eben zu bieten hat.

 

Der Mensch ist da nur ganz Mensch, wo er spielt. (Schiller)

 

 

  •  Aha-Effekt/Mehrwert

 

Auf der ganzen Linie gewonnen haben Sie, wenn Ihr Gast seinen Bekannten von Ihrer tollen Führung erzählt.

 

Das erreichen Sie beispielsweise, wenn Sie die Hintergründe zu einer  Redewendung erklären (Siehe Lektion 3). Durch den erzeugten Aha-Moment schenken Sie Ihrem Gast einen Mehrwert. Seine Erwartungen werden übertroffen und er freut sich, dass er diese neue Erkenntnis mit nach Hause nehmen kann.

 

 

Praxisbeispiel: Aha-Effekt und Mehrwert

 

Sie stehen in einem mittelalterlichen Wehrturm oder Burgfried, in dem die vier Stockwerke mit Leitern verbunden waren, Treppen gab es nicht. Interessant, lockt aber noch niemanden hinterm Ofen hervor. Wenn Sie jetzt erzählen, dass wir heute immer noch ein geläufiges Wort gebrauchen, das entstanden ist, weil es solche Konstruktionen im Mittelalter gab, dann horchen alle ganz erstaunt auf. Wieso? Kann das sein? Ja, denn sie erzählen Folgendes:

 

„Wenn jemand angegriffen wurde und in höchster Not war, gab es noch eine letzte Hoffnung, falls eine solches Gebäude in der Nähe stand: Schnell die Leiter hinauf und diese dann hochziehen, sodass der Verfolger erst mal nicht nachkam. Das bedeutete zwar nicht die Rettung, aber wertvolle Zeit war gewonnen. Mit etwas Glück eilte vielleicht rechtzeitig Hilfe herbei, ehe der Verfolger unten ein Feuerchen entfachen konnte.“

 

Spätestens an dieser Stelle sind alle Zuhörer hochgradig gespannt. Um welches Wort geht es denn da? Lassen Sie Ihre Gäste raten!

 

„Türmen – das sagen wir heute noch, wenn jemand die Beine unter die Arme nimmt.“

 

AHA!

 

 

Gönnen Sie Ihren Gästen solche Aha-Momente. Sie werden immer wieder an die spannende Führung denken, spätestens, wenn das Wort „türmen“ auftaucht: „Weißt du eigentlich, wo das Wort „türmen“ herkommt? Habe ich neulich bei einer ganz tollen Führung in xy erfahren!“ – Das ist nachhaltige Gästeführung! 



Aufgabe

Bauen Sie Ihre mustergültige Führung !

 

1.  Der Rahmen Ihrer Führung

 

  • Wenn Sie noch keinen Rahmen in Lektion 3 gebaut haben, legen Sie jetzt die Materialien dafür fest und formulieren Sie probehalber diese wichtigen Führungsabschnitte. 
  • Wenn es gut funktioniert, dann ergänzen Sie ihre Liste in der rechten Spalte um das Rahmen-Stichwort, einmal zu Beginn und einmal am Ende, wie es sich für einen Rahmen gehört, und markieren Sie beide Eintragungen mit einer schwarzen Umrahmung.

 

2.  Der rote Faden und die innere Struktur

  • Jetzt arbeiten Sie zur Abwechslung in Ihrer linken Spalte. Gehen Sie die Themen und Objekte durch und unterstreichen Sie alle, mit denen Sie Ihren Roten Faden entwickelt haben mit Rot. 
  • Möglicherweise fallen Ihnen dabei neue Teilaspekte ein, die Ihren roten Faden verstärken. Nur zu! Tragen Sie diese auch in die linke Spalte ein und unterstreichen Sie die neuen Punkte wieder mit Rot. Da haben Sie ihn, Ihren roten Faden.

 

3.  Drei Gipfelpunkte anvisieren

 

  • Schauen Sie sich alle rot markierten Stichworte der linken Spalte an. Finden Sie darunter schon drei Sahnehäubchen, die das Zeug zum Gipfel haben?
  • Haben Sie drei Gipfelpunkte ausgewählt? Denken Sie an das Höhenprofil: sind die drei Höhepunkte optimal verteilt? Der erste gleich nach der Begrüßung, einer in der Mitte und der letzten Tusch kurz vor der Verabschiedung? Wenn nötig, bauen Sie diese Punkte noch ein wenig aus, damit sie gewichtiger werden.
  • Jetzt wird Ihre Konzeptliste noch farbiger, denn die drei Höhepunkte in der linken Liste werden rot umrahmt.


Fazit

Ist Ihr Konzept kunterbunt geworden? Ihr solider Rahmen zusammengefügt? Der rote Faden weist den Weg? Und das perfekte Höhenprofil Ihrer Führung mit drei optimal platzierten Gipfelpunkten steht? Sie haben es geschafft, Ziel erreicht.

 

Gratulation!!

Und hier für Sie eine Checkliste mit allen wichtigen Aspekten im Überblick - damit Sie Ihre weiteren Führungskonzepte optimieren können - oder Ihre Ideen für eine besondere Gruppe anpassen können.



Extra-Tipp

Das Höhenprofil ist noch nicht so ganz perfekt?

 

Für eine ideale Dramaturgie könnten Sie überlegen, Ihre Tour ein wenig  umzustellen, um die drei Spitzen besser verteilen zu können.



Ausblick

Passt Ihr spannendes Führungskonzept auch zu den Wünschen und Bedürfnissen Ihrer anderen typischen Gästegruppen? Im Großen und Ganzen ja? Nur die Feinabstimmung sollte noch justiert werden?

 

Keine große Sache, denn Sie wissen jetzt, wie es geht. Viel Erfolg dabei und viel Freude bei all Ihren zukünftigen spannenden Führungen!

 

Ihre

Veronika De Winne